Karpaten im Nebel und Gegenbesuch im Blick


Meinen Wecker könnte ich heute Morgen getrost in die Tonne werfen; die letzten, sehr langen Tage und Nächte, das dichte und unfassbar interessante Programm und die stete Betriebsamkeit der gesamten Truppe haben ihre Spuren hinterlassen. Das merke ich beim Frühstück, denn mein Appetit hält sich mehr zurück als meine Müdigkeit. Und dennoch: Heute steht mein Traumziel dieser Erasmus+ Reise an und das Wetter in den Karpaten soll laut Vorhersage auch mitspielen. Passend dazu, scheint in Sibiu schon die Sonne.

Nach einer letzten Lagebesprechung zum Tagesablauf brechen wir gen Karpaten auf. Bis zu unserem Ziel, dem Balea-See sind es anderthalb Stunden Fahrtzeit. Wir sind noch nicht mal aus Sibiu draußen, da hat es die ersten Schüler in meinem Bus schon in die Traumwelt verschlagen. "Okay", denke ich, "mir geht es heute mit der Müdigkeit nicht alleine so". Als wir uns den Karpaten näher, hängen deren Gipfel in einer dichten Wolkendecke, während wir aus der Sonne in die erste Kurve der nun 20 Kilometer langen Serpentinen einbiegen. Wir klettern mit jeder Kurve ein paar Meter Höhe, sind bei rund 600 m.üNN gestartet und wollen rauf auf rund 2000. In einer Kurve Warnblinklicht, ein Auto steht gegen die Fahrtrichtung. Ein Unfall? Nein, ein Bär! Seelenruhig liegt er im Gras an einer kleinen Einbuchtung und kaut auf irgendwas herum. Die neugierigen Blicke, auch von uns, machen auch ihn neugierig, sodass er sich in Bewegung setzt. Deshalb schnell Türen und Fenster zu und Abfahrt. Wir halten uns an die Hinweisschilder und werfen dem Bären weder Äpfel, Pizza noch Schokonüsse hin; ein, zwei Bilder müssen reichen. Ab der nächsten Kehre wird es richtig ungemütlich. Licht und Nebelschlussleuchte an und langsam durch die dichte Nebelsuppe, in die sich nicht nur wir verirrt haben. Motorradfahrer und Camper kraxeln neben unzähligen Autos hier hinauf. 

Oben am See angekommen fragen wir uns, ob sich das Aussteigen wirklich lohnt, denn wir sehen kaum den Vordermann. Doch der Exkursionsspirit trägt und so schultern wir die Rucksäcke. "Wir gehen wenigsten mal gucken", motiviert Angela Schumacher und geht voraus. Obwohl sie schon öfter hier war, hat auch sie Schwierigkeiten sich zu orientieren und die alte Binsenweisheit, dass das Wetter in den Bergen seinen eigenen Gesetzen folgt, bewahrheitet sich heute augenscheinlich. So drehen wir eine kleine Runde, kehren kurz in Ceausescu altes Jagdhaus am Balea-See ein, welches heute eine Gastwirtschaft mit Übernachtungsmöglichkeiten für Berg- und Wintersportler ist. Doch heute hat es ausgerechnet oder gerade wegen des schlechten Wetters keinen Platz für uns. Im Flur draußen können wir uns nur an einer Fotografie des Sees im Sonnenschein ergötzen, bevor wir den Rückweg gen Autos antreten und an den Ständen des Wegesrandes am Parkplatz noch eines der leckeren Zuckergebäcke, den "Baumstrietzel" auf die Hand nehmen. Obwohl es ein wenig aufklart und wir noch einen nebelfreien Blick auf den See erhaschen, wollen jetzt alle nur noch zurück in die Unterkunft. Frischmachen und ein wenig ruhen, denn am Abend sind wir zum Abschlussessen mit den Rumänen verabredet.

Diese empfangen uns an einer langen Tafel eines Lokals, wo wir die letzten Tage bei leckerem Essen Revue passieren lassen und wir noch mit unerwarteten Gastgebergeschenken überrascht werden, die uns den Abschied erschweren aber ein Wiedersehen umso wahrscheinlicher machen. Wir verabreden uns, wollen noch Projekte zusammen abschließen und ganz gewiss einen Gegenbesuch in Deutschland über Erasmus+ ermöglichen. Herzlich und warm ist der Abschied von diesem Land, das uns wie Amors Pfeil ins Herz getroffen hat. Mit all seinen Schönheiten in Siebenbürgen, der Gastfreundlichkeit (insbesondere von Radu, aber eigentlich allen Menschen die wir kennenlernen durften), seinen teils charmanten wie auch ernst zu nehmenden Gegensätzen und Problemen, seiner Gelassenheit aber auch seiner Zuverlässigkeit und letztlich den Menschen, die das Leben, egal wo, eigentlich erst lebenswert machen. 

So reise ich (und ich nehme an wir alle) mit einem völlig neuen Bild dieses Landes im Kopf wieder ab nach Deutschland, wo meine Familie, meine Heimat auf mich wartet. Die Möglichkeit mit Erasmus+ genau das alles zu erleben, hat mich von seinen Grundwerten vollends überzeugt: Europa ist in einer Vielfalt geeint, die mich genau jene oft als unüberwindbar empfinden lassen; und doch ist es diese Vielfalt, die Europa und seine Europäer so lebens- und liebenswert machen, wenn man als Individuum bereit ist, auf fremde, aber doch in der Sache verbundene Menschen zuzugehen und in ihr Herz zu sehen, um zu verstehen, dass nur ein geeintes Europa ein gutes Europa sein kann. 

Danke Erasmus+, danke Rumänien, danke liebe Gastgeber und liebe Teilnehmer; diese Reise war einzigartig und verlangt nach mehr. Lasst uns gemeinsam Europa entdecken und es lieben lernen, um dieses Europa gemeinsam zu bewahren. Tschüss Rumänien, auf ein Wiedersehen bei Freunden!

Und ehe ich es vergesse: Happy Birthday liebe Marie!

von unserem Blogger
Frederick Fisher

Blogeinträge:   Tag 1  |  Tag 2  |  Tag 3  |  Tag 4  |  Tag 5  |  Tag 6  |  Tag 7  |  Tag 8