Rumänien in echt und ohne Filter


Heute an unserem "freien Tag" darf jeder Teilnehmer individuell entscheiden, was er oder sie macht. Unsere Schülerinnen und Schüler haben sich überwiegend für einen gemeinsamen Tag mit ihren Partnerschülern des Päda in Sibiu entschieden, wo sie zusammen durch die Gegend streifen wollen. Nach dem Wetterknick gestern, lässt es sich heute bei angenehmen 20 Grad und Sonnenschein wieder besser aushalten. 

Also starten wir alle nach dem Frühstück und schwärmen aus. Angela Schumacher, Niklas und sein Austauschschüler Noah sowie die zwei filmbegeisterte Studierende (dazu morgen mehr) und ich starten mit den Fahrzeugen auf eine Rundreise, die uns über Land in das etwa 80 Kilometer entfernte Schäßburg führen wird. Auf der Fahrt über Landstraßen zeigt sich uns eine wirklich einzigartige Naturlandschaft, mit ihren sanften Hügeln und den Präriegräsern; unweit der Karpaten führen Schäfer ihre Herden wie in einer Filmidylle über die weiten Flächen, die immer wieder Heine des Heimkommens in den siebenbürgischen Dörfern mit ihren unzähligen Kirchenburgen aufzuweisen hat. Wir stoppen, machen Bilder, fahren weiter und stoppen wieder und wieder, denn die Fotomotive gehen einem hier nicht aus und dennoch bekommt man vieles davon mit der Kameralinse gar nicht eingefangen, weil es im Zusammenspiel von Weite und Einzigartigkeit als Ensemble erst richtig wirkt. Nervös drängeln blöderweise immer wieder die rumänischen Autofahrer, die an den unmöglichsten Stellen überholen und es grundsätzlich immer und überall eilig zu haben scheinen. "Nicht anstecken lassen, Ruhe bewahren und genießen", denke ich und wir fahren weiter. Verwundert über die auffällig häufig vertretenen Maiskulturen, erstaunt uns alle dann doch der "Bavaria Park", eine Art Gated Community vor der karpatischen Bergkulisse; der Kapitalismus hält auch oder insbesondere auf dem Land Einzug und formt skurrile Eigengeschöpfe in die Landschaft, deren Tradition aber zum Glück nicht überall von der Moderne überrollt wird aber stark bedroht ist.

Kaum zwei Kilometer entfernt begegnet uns - wie auf Bestellung - als Kontrastprogramm der erste Pferdewagen mit nahezu sorglos lächelnden Menschen beladen. Dies wird uns an diesem Tag noch mehrfach begegnen, ebenso wie die unzähligen Straßenhunde die unsere Wege kreuzen. Leider werden nach und nach auch viele ärmliche und verhaust wirkende Straßenzüge zur Wiederholungsschleife, in welchen überwiegend traditionsbewusste Roma leben. In Trappold ergibt sich für uns durch Noahs privates Netzwerk die Gelegenheit, von einem hochgelegenen Glockenturm einer Kirchenburg einen weiten Blick über die Landschaft und das angrenzende Dorf zu werfen. Die geschossenen Bilder stehen für diesen siebenbürgischen Landstrich stellvertretend, durch welchen eine mit EU-Mitteln frisch asphaltiere Straße führt, an deren Rändern kleinparzellierte Grundbesitze in gutem, weniger gutem und miserablem Zustand Sinnbild für die sozioökonomischen Disparitäten dieses Landes sind, dessen Menschen an diesem sonnigen Sonntag aber dennoch fröhlich lächelnd auf den Bänken vor ihren Häusern sitzen und das Treiben gelassen beobachten.

In Schäßburg dann das krasse Gegenteil: Eine Touristenhochburg die damit wirbt, ein Teil der Vita von Graf Dracula zu sein. Auf dem großen Marktplatz nebst des pompösen Burggebäudes tummeln sich Menschen in den Kaffees und Restaurants, während ein Bummelbähnchen die Menschen durch die mittelalterlichen engen Gassen chauffiert. Touristischer Krimskrams in kleinen Kramerlädchen erinnert an das gute alte Rüdesheim am Rhein. Auf dem Rückweg von Schäßburg nach Sibiu passieren wir noch einen von Europas (ehemals) schmutzigsten Landstrichen, wo in der Rußfabrik und Buntmetallhütte von Copsa Mica bis in die 1990er Jahre hinein so viele Abgase in die Luft geschleudert wurden, dass die Wohnhäuser der Gegend schwarz wurden und "sogar Kühe auf den Weiden tot umgefallen sind", so Angela Schumachers Exkurs in die traurige Berühmtheit dieses Ortes, an dessen Vergangenheit heute nur noch ein mahnender Schornstein erinnert.

Auf der Rückfahrt erreichen uns dann aber auch endlich die ersehnten Bilder vom Rest unserer Gruppe, die den Tag zu einer gemeinsamen Wanderung auf den Hammersdorfer Berg genutzt hat und dort den sonnigen Ausblick genoss und sich nach dem wichtigen und eindringlichen Abendbriefing auf den morgigen Tag vorbereitet.

von unserem Blogger
Frederick Fisher

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