Rumänische Lebenslektionen und kultureller System-Overload


So manches erstes Lebenszeichen aus der Ferne in die Heimat dürfte heute Morgen die Liebsten daheim aus den Federn geworfen haben, denn die eine Stunde Zeitverschiebung ruft jetzt keinen Jetlag hervor, birgt aber dennoch Gefahren für ein zu frühes "Guten Morgen aus Sibiu" via Messenger oder Videocall. "Warum ist es bei dir denn schon so hell Papa", fragt mich da mein Kleiner von daheim, während er noch im Morgengrauen am Frühstückstisch sitzt.

Überhaupt hat diese eine Stunde es hier so in sich. Und so lernen wir die erste rumänische Lebenslektion unserer Reise: halb 8 ist beinahe halb 9... . Denn eigentlich hatten wir unser Frühstück für halb 8 bestellt, um etwas Puffer für die Fahrt durch die Stadt zu unserer Partnerschule zu haben. Jedoch nimmt man es hier mit der deutschen Pünktlichkeit alles andere als genau, denn wir sitzen zunächst alleine im Frühstücksraum vor leeren Tischen, bevor das Geschirrgeklimper aus der Küche ein erstes Lebenszeichen des Kochs erahnen lässt, der uns dann aber im Handumdrehen ein rumänisch-deftiges Frühstück mit frischem Rührei, Wurst, und Käse bereitet. Neu für uns: Rumänen essen auch Cornflakes mit warmer Milch, was uns wiederum davon abhält. Dafür weckt der kernige Kaffee die Lebensgeister ins uns, mit denen wir dann gen "Päda" (künftige Abkürzung für Pädagogisches Lyzeum Andrei Saguna) starten, wo wir mehr als herzlich empfangen werden.

Nach einer kurzen allgemeinen Einführung ins Programm und einer lockeren Vorstellungsrunde, sind die Schülerinnen und Schüler beiderseits nicht mehr zu halten, sodass die von den Rumänen vorbereitete Stadtrallye bei strahlendem Sonnenschein und sommerlichen 25 Grad alle in das Herz der Stadt zieht. Was jedoch dort an Eindrücken auf einen einprasselt, lässt sich kaum in Worte fassen. Alt neben Neu, Gegenwart neben Vergangenheit, Alt-Kommunismus neben Neu-Kapitalismus; der westliche Lebensstil hat Rumänien längst übermannt, obwohl einen die berühmten "Hermannstädter Augen" (berühmten Dachgauben zur Lüftung der ehemaligen Getreidespeicher der Stadt) nie aus dem Blick verlieren. Angekommen auf dem zentralen Platz "Piata Mare" wird klar: Diese Stadt lebt! Ein Festival jagt das nächste, ein Event folgt dem anderen. Nach den Theaterfestspielen ist nun für Film und Jazz der ganze Platz Bühne und Festsaal zugleich; dabei haben wir die vielen Sehenswürdigkeiten noch gar nicht in Augenschein genommen. Dafür ist die Stadtrallye ja da, die durch das wundervoll renovierte historische Zentrum der Stadt führt, welches man nicht in zwei Stunden erkunden kann. Also verlängern wir spontan das vorgesehene Zeitfenster und nehmen den unglaublich guten Drive dieser Austauschtruppe mit, die sich vom ersten Moment der Begegnung an wunderbar verstanden hat. "Ich war ziemlich gerührt davon, wie die Schülerinnen und Schüler aufeinander zugegangen sind und total offen waren", schwärmt Angela Schumacher geradezu, während mir der Kopf vor lauter Eindrücken - im positiven Sinn - zu explodieren droht. Diese Frau kennt hier Gott und die Welt; hier noch was zu sehen, da noch ein "Hallo" und..., "ach ja,... dahin müssen wir unbedingt noch". In Angela Schumachers Schule aus ihrem Auslandsschuldienst werfen wir natürlich auch noch einen Blick, wo wieder Vergangenheit und Gegenwart ein beeindruckendes aber funktionierendes Nebeneinander führen. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus und lasse mich irgendwann im Erasmus-Bücherkaffee in der Oberstadt erstmal gedanklich fallen und vertiefe mich in ein Gespräch mit Menschen, die seit ihrer Studienzeit zusammen reisen und nun im Ruhestandsalter zum ersten Mal Rumänien kennenlernen. Sie sind interessiert und angetan von unserer Exkursion; fast schon im Geiste verbunden, wünschen sie uns viel Spaß und eine gute Zeit. Die haben wir bisher, wenngleich sich die ersten Regenwolken ausbreiten und uns wohl morgen ein markanter Wetterwechsel erwartet. Jetzt geht es erstmal an die Kochlöffel und wir lassen uns von Arnes Kochkünsten überraschen... .

von unserem Blogger
Frederick Fisher

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